„Fleisch!“ – Ein Hauptseminar und seine Resultate

Auf diesem Blog finden Sie Ergebnisse studentischer Projekte aus einem Hauptseminar, das unter dem Titel „Fleisch! Die Poesie des Schlachtens“ im Wintersemester 2020/21 an der Ruhr-Universität Bochum stattfand und von Sebastian Susteck durchgeführt wurde.

Das Seminar war im Fachbereich „Neuere deutsche Literaturwissenschaft“ des Instituts für Germanistik angesiedelt. Dies mag die Frage provozieren, was Fleisch dort zu suchen hat. Weder scheint es um ein typisches Thema literarischer Texte oder einen gewöhnlichen Gegenstand künstlerischer Vorstellungen zu gehen, noch gehört Fleisch auf den ersten Blick in den Kreis jener hochwertigen Themen, mit denen Literatur und Literaturwissenschaft sich traditionell beschäftigen: Moral und Ethik, anthropologische Grundmomente und existenzielle Fragen.

Zum einen freilich hat die Literatur traditionell mehr zu bieten, als eine Fixierung auf Literaturprogramme zeigt, die in der Nachfolge idealistischer Ästhetik stehen. Auch Fleisch gehört zu den literarischen Themen. Dies gilt nicht nur dort, wo es um Menschenfleisch und menschliche Werte geht, wie in Wilhelm Shakespeares „The Merchant of Venice“ (publiziert 1600), sondern auch dort, wo die materielle Realität ProtagonistInnen bedrängt und die Texte dies zeigen wollen, wie in Emile Zolas „Le Ventre de Paris“ (1873). Zum anderen interessiert sich eine kulturwissenschaftlich geöffnete Literaturwissenschaft für die Verbindungen und Überkreuzungen, in die Literatur mit gesellschaftlichen Diskursen, Vorstellungen, Narrativen und Materialien eintritt. Dies gilt umso mehr, als gerade das Fleisch in den vergangenen Jahren als ökologisch wie kulturell problematisches, zugleich extrem assoziationsreiches und nur scheinbar natürliches Objekt in den Blick getreten ist.

Als Konsequenz kulturwissenschaftlicher Öffnung wächst auch in den Literaturwissenschaften die Herausforderung, interdisziplinär zu arbeiten und verstärkt nicht-philologisches (Fach-)Wissen in der Diskussion zu berücksichtigen. Dies gilt auch im Studium, das nicht an disziplinären Grenzen Halt machen möchte. In den folgenden Beiträgen finden sich daher Ergebnisse philologischer wie, aus literaturwissenschaftlicher Sicht, fachfremder studentischer Arbeit. Hinzu kommen einige ergänzende Informationen zum Seminar und Literaturhinweise für alle am Fleisch Interessierten.

Hauptseminar „Fleisch“ im Winter 2020/21

Das Hauptseminar „Fleisch! Die Poesie des Schlachtens“ am Germanistischen Institut der Ruhr-Universität Bochum befasste sich mit literarischen und filmischen Darstellungen der Produktion des Nahrungsmittels Fleisch. Fleisch macht nicht erst in der Gegenwart Schlagzeilen, sondern wird mit spektakulärer Geste bereits in Jean-Jacques Rousseaus Erziehungsroman „Emile“ (1762) zurückgewiesen, der wiederum auf die Einlassungen Plutarchs aus dem ersten oder zweiten nachchristlichen Jahrhundert zurückgreift. Die moderne Fleischproduktion füllt nicht nur heutige Supermarktregale, sondern ist ein Treiber des Klimawandels und hat Landschaften, Gesellschaften und die moderne Kultur seit dem 19. Jahrhundert nachhaltig beeinflusst und verändert. Sichtbar wird dies etwa in der oben abgebildeten Landkarte der Schlachtfirma „Armour & Company“ aus Chicago, die 1922 zu Unterrichtszwecken erstellt wurde.

Bloß folgerichtig sind das Fleisch und seine Herstellung ein Faszinosum für Romane und Dramen vor allem seit dem 19. Jahrhundert – dem Jahrhundert der Industrialisierung – wie etwa:

Emile Zola: Der Bauch von Paris (1873); Upton Sinclair: The Jungle (1905/06); Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz (1929); Cecile Lauber: Die Wandlung (1929); Bertolt Brecht: Die heilige Johanna der Schlachthöfe (1931); Beat Sterchi: Blösch (1983); Ralf Rothmann: Hitze (2003).

Auch Reportagen behandelten zumal um 1900 die Fleischproduktion mit großem Interesse, wobei sich die Reporter_innen gerne ins Zentrum der industriellen Fleischproduktion begaben, nämlich nach Chicago. Stereotyp finden die „Union Stock Yards“ hier Beachtung, z. B. bei:

Arthur Holitscher: Amerika heute und morgen (1919); Roda Roda: Ein Frühling in Amerika (1924); Erika und Klaus Mann: Rundherum. Das Abenteuer einer Weltreise (1929); Heinrich Hauser: Feldwege nach Chicago (1931).

Im Hauptseminar ging es neben der Besprechung von Texten auch um die Durchführung von Projekten durch die Studierenden. Eine Auswahl von Ergebnissen findet sich auf diesem Blog.

Das Seminarprogramm im Winter 20/21:

Literatur zum Thema (Auswahl)

Zum Thema Fleisch und Schlachten gibt es etwa die kleine Anthologie von Manuela Linnemann:

Manuela Linnemann (Hg.): Der Weg allen Fleisches. Das Motiv des Schlachtens in der Literatur. Erlangen 2006.

Zudem gibt es zahlreiche Titel der Forschungsliteratur, die sich teils auf Literatur beziehen, teils auch auf die sozial- und kulturgeschichtlichen Hintergründe literarischer Texte, journalistischer Reportagen oder künstlerischer Werke. Zu nennen sind etwa:

Philipp Armstrong: What Animals Mean in the Fiction of Modernity. London u. New York 2008.

Alexander Bauerkämper: Das große Schlachten. Der Schlachthof als literarischer Schauplatz und Resonanzraum tierethischer Reflexionen. [Masterarbeit] 2015: https://www.grin.com/document/315166

Volker Demuth: Fleisch. Versuch einer Carneologie. Berlin 2016.

Ted Geier: Meat markets. The cultural history of bloody London. Edingburgh 2017.

Sigfried Giedion: Die Herrschaft der Mechanisierung. Ein Beitrag zur anonymen Geschichte. Frankfurt/M. 1982 [1: 1948].

Christian Kassung; Fleisch. Geschichte einer Industrialisierung. Paderborn 2020.

Sean McCorry u. John Miller (Hg.): Literature and Meat Since 1900. Cham, CH, 2019.

Dominic A. Pacyga: Slaughterhouse. Chicago’s Union Stock Yard and the World it Made. Chicago u. London 2015.

Susanne Schindler-Reinisch (Hg.): Berlin Central-Viehhof. Eine Stadt in der Stadt. Berlin 1996.

Erhard Schütz: Fließband – Schlachthof – Hollywood. Literarische Phantasien über die Maschine USA. In: Ders. (Hg.): Willkommen und Abschied der Maschinen – Literatur und Technik. Bestandsaufnahme eines Themas. Essen 1988, S. 122-143.

Joshua Specht: Red Meat Republic. A Hoof-to-Table History of How Beef Changed America. Princeton u. Oxford 2019.

Studentische Arbeitsergebnisse: Einleitung

In den folgenden Beiträgen finden sich studentische Arbeitsergebnisse aus dem Hauptseminar „Fleisch“. Die Beiträge wurden jeweils in Gruppenarbeit erstellt und hatten eine doppelte Herausforderung zu bewältigen: Erstens mussten unterschiedliche Themen inhaltlich erschlossen werden; zweitens mussten auch die Fähigkeiten zur Nutzung unterschiedlicher Präsentationsmedien oft erworben bzw. weiter entwickelt werden, und zwar nahezu vollständig in Eigenregie. Die studentischen Projekte nämlich wurden parallel zur eigentlichen Seminardiskussion von den Studierenden selbst geplant und gestaltet. Ob Folienpräsentation oder Podcast: Software zu nutzen und Praktiken auszubilden, dabei erfolgreich zu arbeiten, ist eine Herausforderung.

Die Folienpräsentationen, die im Folgenden unterschiedliche Themen behandeln, enthielten im Original nahezu ausnahmslos eine Tonspur, die hier aus Gründen einfacher Bedienbarkeit entfernt ist. Die Präsentationen sollten jedoch auch durch Text und Bild für sich sprechen. Sie sind geeignet, Impulse und erste Informationen zu verschiedenen Themen zu vermitteln.

Dabei geht es nur zum Teil um literaturwissenschaftliche Themen im engen oder erweiterten – etwa medien- und kulturwissenschaftliche Fragestellungen mit berücksichtigenden – Sinne. Vielmehr finden sich auch Grundinformationen etwa zur ökologischen Bilanz der Fleischproduktion.

Umweltkosten der Fleischproduktion (Broschüre)

„Fleisch – in vielerlei Hinsicht hat es heute ‚unser täglich Brot‘ ersetzt. Denn auch wenn in Deutschland der Fleischkonsum pro Kopf in den letzten Jahren leicht gesunken ist, ist es für viele längst kein Luxusgut mehr und aus dem täglichen Konsum nicht mehr wegzudenken. Ob Schinkenstulle zum Frühstück, Schnitzelbrötchen zu Mittag oder Hähnchencurry zum Abendessen – bei fast jeder Mahlzeit essen wir ohne groß darüber nachzudenken Fleisch. Der Grund dafür ist simpel: Fleisch schmeckt uns einfach gut, und seitdem die Industrie die Preise immer weiter senkt, kann sich jeder diesen täglichen Genuss leisten. Doch abseits vom Teller sorgt der Fleischkonsum für Konsequenzen – und das nicht nur für unsere Gesundheit, sondern vor allem auch für die Natur…“

Die Ernährungsrevolution (Broschüre)

„Unsere Zukunft auf der Welt zu sichern scheint eines der relevantesten Themen für das 21. Jahrhundert zu sein. Die Weltbevölkerung wächst seit dem Zweiten Weltkrieg so rasant wie nie zuvor, doch wie lässt sich diese immer größer werdende Zahl langfristig und nachhaltig versorgen? Dieser Herausforderung muss sich die Lebensmittelindustrie bereits heute stellen, wenn sie im Jahr 2050 die aktuell prognostizierte Zahl von 9,7 Mrd. Menschen ernähren will. Dies wird durch die steigende Zahl an klimabedingten Ernteausfällen zunehmend erschwert. Gleichzeitig ist die ressourcenintensive Fleisch- und Milchindustrie mit 14% des weltweiten CO2 Ausstoßes maßgeblich für den Klimawandel mitverantwortlich. Ein Umdenken zu einer nachhaltigeren und ökologischeren Wirtschaft ist daher dringend notwendig, um die Ressourcen unseres Planeten langfristig zu schützen…“

Fleischersatzprodukte (Film)

Ein kurzer Film mit Informationen zu Vegetarismus und Fleischersatzprodukten, der zurzeit leider keine Quellenangaben erhält, die aber bei Interesse nachgereicht werden können.

Die Arbeitsgruppe erklärt:

„Wir (Henna, Rabia, Burcu und Katrin) haben uns mit dem Thema „Fleischersatzprodukte“ beschäftigt und anhand derer Entwicklung verschiedene Bereiche beleuchtet.

Im Rahmen unseres Projektes fanden wir zugleich die Idee gut, nicht auf die üblichen Verfahrensweisen der Literaturwissenschaft zurückzugreifen, sondern mit Stimme und Bildern zu arbeiten.

Die anfängliche Idee war es, unterschiedliche Cafés und Restaurants zu besuchen, welche ein breites Angebot an Fleischalternativen geboten hätten, um dort Interviews durchzuführen. Leider konnten wir dies aufgrund der pandemiebedingten Situation nicht umsetzen.

Die Behandlung des Themas hat uns dennoch sehr gut gefallen und wir hoffen, dass ihr etwas für euch mitnehmen könnt.

Im Folgenden bekommt ihr einen kleinen Einblick darüber, aus welchem geschichtlichen Hintergrund die Idee der Fleischersatzproduktion entstand, wie sie sich ausgebaut hat und fortlaufend etabliert. Dabei stehen vor allem die verschiedenen Fleischersatzarten, ihre Produktion sowie der Bezug auf die Nachhaltigkeit im Vordergrund.“

Beispiele für Fleisch im Film (Folienpräsentation)

Fleisch(-verzehr) im Film

Anhand von vier Filmen unterschiedlicher Genres haben wir untersucht, wie Fleisch, Fleischverzehr, und in diesem Zuge auch der Konsum, die Tierhaltung und die Produktion, dargestellt werden. Dabei haben wir Überschneidungen und Ähnlichkeiten hinsichtlich der Motive und der Darstellung festgestellt, aber auch Unterschiede bezüglich des jeweiligen Fokus innerhalb der Thematik. Die von uns ausgewählten Filme sind Okja (2017), Spirited Away (2001), Hannibal (2001) und The Texas Chainsaw Massacre (1974).